Psychologie: Wie sich Freundschaften in der Lebensmitte verändern

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Enge, intensive Freundschaften erlebte unsere Autorin als junger Mensch. Was ist daraus geworden? Und wie verändert sich Freundschaft ab der Lebensmitte?

Als Teenies waren wir unzertrennlich. In jeder freien Minute klebten wir zusammen und abends noch am Telefonhörer, in den wir flüstern mussten, weil das Schnurtelefon im Flur stand und die ganze Familie mithören konnte. Ich habe keine Ahnung, was meine Freundinnen und ich alles zu bereden hatten, aber es muss eine ganze Menge gewesen sein. 

Irgendwann wurden wir flügge und zogen weiter, an neue Orte mit neuen Freund:innen. Dabei lösten wir uns nicht nur von unseren Familien, sondern auch voneinander. Ich zog in verschiedene WGs und die daraus resultierenden Fernfreundschaften bestehen teils bis heute – obwohl wir überall verstreut wohnen, haben wir uns nie aus den Augen verloren. Mit jeder neuen Lebensphase wuchs mein Bekanntenkreis ein bisschen weiter an: als Auszubildende, Backpackerin, Studentin, Arbeitnehmerin, Mutter. Doch die Nähe, Intimität und Selbstverständlichkeit, die mich mit meinen frühen Freundinnen verband, erlebte ich nie wieder. 

“Man zeigt sich als der, der man wirklich ist”

Heute, mit 57, habe ich zwei, drei beste Freundinnen, mit denen ich so ziemlich über alles reden kann. Damit bin ich quantitativ in guter Gesellschaft: Laut einer YouGov-Umfrage haben 77 Prozent der Erwachsenen ein bis vier enge Freunde. Qualitativ ist eine Freundschaft für mich ungefähr das, was der Freundschaftsforscher Janosch Schobin meinte, als er schrieb: “Man zeigt sich als der, der man wirklich ist”. Das tue ich, doch selbst bei meinen “Besties” hätte ich das Gefühl, sie zu stören, wenn ich sie plötzlich bräuchte, weil es mir schlecht geht. Zeit und Energie sind bei uns immer knapp, obwohl die Kinder uns kaum mehr brauchen und die Care-Arbeit weniger geworden ist – deswegen verabreden wir uns zwar regelmäßig, aber in größeren Abständen. Eine Frollegin sprach neulich aus, was ich auch fühle: Manchmal freue sie sich, wenn eine Verabredung platzt, weil sie dann zu Hause bleiben kann. Sind wir nur müde oder schon freundschaftsmüde und wenn ja, warum? 

Paarbeziehung und Familie sind Freundschaftskiller

Ich vermute: Es liegt daran, dass wir verpartnert sind. Die Intimität unserer ersten engen Freundschaften scheint in die Intimität unserer Liebesbeziehungen hinübergewandert zu sein. Eine Bekannte von mir ist Single und leidet darunter, dass Paare und Familien am Wochenende so gern unter sich bleiben. Sind Paarbeziehung und Familie also Freundschaftskiller? Einerseits, weil das Leben qua Doppelbelastung schon anstrengend genug ist? Und andererseits, weil man emotional schon ziemlich gut versorgt ist – schließlich hat man eine:n Partner:in, um sich alles von der Seele zu reden. Sind Paare emotional also quasi autark und Freundschaften in unserem Alter nur noch der “Trostpreis für die Alleingebliebenen”, wie Daniel Schreiber es in seinem Buch “Allein” formuliert?

Wenn ich zurückblicke, wird mir klar: Meine ganz engen, intensiven Freundschaften fingen an, zu bröckeln, als die ersten Paare zusammenzogen und die ersten Familiengründungen am Horizont auftauchten. Meine Erfahrung deckt sich mit den Ergebnissen einer finnisch-britischen Studie: Sie hat gezeigt, dass wir mit 25 Jahren die meisten Freunde haben. Ab dann schrumpft unser Freundeskreis. 

25 ist ungefähr das Alter, an dem viele von uns beginnen, uns für intime Beziehungen einem:r exklusiven Partner:in zuzuwenden – dem oder der “Liebsten”, wie es superlativisch heißt. Von da an spielt diese Person die erste Geige in unserem Leben. Die meisten von uns dürften das Phänomen kennen: Wenn sich jemand verliebt, ist er oder sie erstmal weg vom Fenster. Die Freund:innen müssen sich mit der zweiten Geige begnügen. 

Sich einen Freundeskreis “aufzubauen”, wird plötzlich Arbeit 

Als ich als junger Mensch in eine neue Stadt zog, traf ich viele “neue Leute”, wie man sagte. Man war gespannt aufeinander, die wenigsten waren in einer festen Beziehung. Man traf sich am Küchentisch, im Hörsaal, am Tresen. Freundschaften stellten sich dabei wie von selbst ein. Zieht man dagegen jenseits der Lebensmitte an einen fremden Ort, riskiert man, in die Einsamkeit zu ziehen. Es sei denn, man ist ein offener Mensch und sucht sich bewusst neue Freund:innnen. Sich einen Freundeskreis “aufzubauen”, klingt nach Arbeit – und das ist es im mittleren Alter auch. 

Aber warum ist es plötzlich mühsam, Freundschaften zu schließen? Vielleicht weil wir im späteren Leben weniger Energie haben, weniger outgoing und neugierig sind, als wir es früher waren. Außerdem sind potenzielle “Besties” Mangelware. Denn Freundschaften spielen häufig erst dann wieder die erste Geige im Leben eines Menschen, wenn Partner oder Familie wegbrechen. Wer nach langjähriger Ehe plötzlich allein lebt, dem kann wenig mehr Angst machen als dieses Gefühl: Ich bin allein und werde es womöglich bleiben. Vergangene Freundschaften zu reaktivieren, erweist sich dann häufig als schwierig – wer sich nur meldet, weil der Partner weg ist, hat schlechte Karten. Man muss also aktiv werden, um neue Leute kennenzulernen, was bedeutet: Rausgehen, aus sich und aus dem Haus. Glücklicherweise gibt es inzwischen viele Möglichkeiten, Gleichgesinnte zu treffen: Wandergruppen, Chöre, Buchclubs, Ehrenämter, Sportvereine, Single-Treffs, Kochkreise, Häkelgruppen, Yogagruppen, Dating-Apps, you name it. 

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Aber wird Freundschaft jemals wieder das, was sie war, als wir als Teenager am Telefonhörer klebten? Eher nicht. Wie alles im Leben verändert auch sie sich. Dass gelingende soziale Beziehungen essenziell für das Wohlbefinden sind, ist längst bekannt. In Zeiten sinkender Geburten- und wachsender Scheidungsraten gewinnen sie gegenüber der Familie noch an Bedeutung, da viele Menschen keine Kinder oder andere Verwandte mehr haben, so eine US-Studie. Daher kommt Freundschaft im späteren Leben eine andere Rolle zu als in jungen Jahren: Statt der Illusion, unzertrennlich zu sein, bietet sie praktische Unterstützung im Alltag und lindert Einsamkeitsgefühle durch gemeinsame Unternehmungen. Was in der zweiten Lebenshälfte zählt, sind Gemeinschaft und ein Gefühl von Verbundenheit mit der Welt. Denn im Alter sind wir mehr denn je darauf angewiesen, nicht allein zu sein.

Source: Aktue