Trauerbegleitung : Warum spricht niemand über den Tod?

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Madita van Hülsen (l.) und Anemone Zeim haben die erste Agentur für Trauerbegleitung gegründet und zeigen: Das Thema Tod kann auch bunt sein!

Du bist erst tot, wenn sich niemand mehr an dich erinnert – dieser Spruch hängt in der “Erinnerungswerkstatt” von “Vergiss Mein Nie”, Deutschlands erster Agentur für Trauerbegleitung in Hamburg. Und dieses Motto leben die Inhaberinnen und Trauerberaterinnen Madita van Hülsen und Anemone Zeim auch, die für ihre Klienten unter anderem individuelle Erinnerungsstücke von Verstorbenen anfertigen. In ihrer charmanten, bunten Einrichtung fühlt man sich sofort wohl – denn hier steht nicht das Dunkle und Traurige im Vordergrund, sondern Hoffnung, Zuversicht und Leben.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eine Agentur für Trauerbegleitung zu eröffnen?

“Wir hatten beide schon einen Trauerfall in der Familie und kennen das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein, die einen komplett überfordert. Auch der Bestatter kann einem da oft nicht zur Seite stehen – der will im schlimmsten Fall nur den teuersten Sarg verkaufen. Wir beide konnten uns damals sehr gut über das Thema Tod unterhalten, es gab bei uns keine Tabuthemen. Und da dachten wir: Trauernden Leuten muss ein Raum gegeben werden, über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen – in einem schönen Umfeld. Immerhin ist das ein Thema, das uns alle betrifft. Außerdem sind wir doch eine Generation, die selbst entscheidet, was sie anzieht, was sie macht, wo sie hingeht. Warum kann man dann nicht auch beim Thema Tod selbst entscheiden, wie man damit umgeht – auch wenn das mal nicht so ‘regelkonform’ ist.”

Wie sieht denn so eine Trauerbegleitung bei euch aus?

“Die meisten Menschen kommen erst nach einem Trauerfall zu uns. Sie haben etwas erfahren, das einfach unvorstellbar ist, ihr Leben ist völlig durcheinander. Wir helfen diesen Menschen, das Chaos zu ordnen. Wir möchten, dass die Leute lernen, besser mit ihrer Trauer umzugehen. Wir hören zu, coachen und unterstützen, wo wir können. Was wir in der Trauerbegleitung mit den Menschen machen, ist ganz individuell. Manchmal reden wir nur, manchmal machen wir Musik. Manchmal machen wir bestimmte Übungen. Wichtig ist allerdings das, was nach der Beratung passiert. Wie setzen die Klienten das um, was wir mit ihnen erarbeiten? Wir können nur den Tank vollmachen, losfahren muss der Klient aber selbst.”

Wie trauern wir üblicherweise?

“Beim Trauern gibt es verschiedene Phasen: Zuerst stehen wir unter Schock und wollen den Verlust gar nicht wahrhaben. Dann später kommt die Phase der aufbrechenden Gefühle, die uns überwältigen und überfordern kann, danach kommt die Neusortierung – und irgendwann die Aussicht auf das neue Leben. Irgendwo dazwischen kommt die wichtige Erkenntnis: Es kann nicht mehr wie früher werden.”

Trauern Männer anders als Frauen?

“Ja, Frauen müssen Energie loswerden und ganz viel erzählen, Männer reagieren sich eher körperlich ab. Sie machen Sport oder zocken stundenlang am Computer. Auch Elternteile, die ein Kind verlieren, trauern komplett unterschiedlich. Die Frau redet vielleicht die ganze Zeit und der Mann weiß nicht, was er tun soll. Und die Frau meint, der Partner trauert gar nicht, weil sie es nicht sieht. Es ist sehr schwer, als Paar gemeinsam zu trauern.”

Trauern wir weniger, wenn Tiere sterben?

“Nicht unbedingt, denn wir trauern um das, was wir lieben. Um gemeinsame Erlebnisse und die Zukunft, die ohne das Tier anders ist. Verstirbt etwa ein Hund oder eine Katze, ist die Wohnung anders, alles unterhalb des Knies ist leer, das Körbchen steht verlassen da. Das schmerzt. Wir bieten einmal die Woche ein Tiertrauertreffen an, bei dem sich ehemalige Haustierbesitzer austauschen können.”

Was hat es mit den Erinnerungsstücken auf sich, die ihr anfertigt?

Vergiss mein Nie - Erinnerungsstück: Strabd im Glas
Madita von Hülsen und Anemone Zeim stellen in ihrer Agentur individuelle Erinnerungsstücke für die Angehörigen von Verstorbenen her. Vom unvergesslichen Urlaub im Glas bis zu kreativen Schmuckstücken.
© Vergiss Mein Nie

“Wir überlegen uns: Wie kann man eine besonders schöne Erinnerung an den Verstorbenen gestalten? Zum Beispiel aus Besitztümern, die die Angehörigen noch zu Hause liegen haben. Eine Frau kam zum Beispiel mal zu uns, die hat den Pulli von ihrer Mutter mitgebracht. Sie hätte ihn nie angezogen, weil er nicht ihr Stil war. Aber er war ihr wichtig, weil er eine Erinnerung war. Den haben wir dann zu einem Schal umgestrickt – und plötzlich konnte sie ihn tragen.”

Wann könnt ihr nicht weiterhelfen?

“Bei erschwerter Trauer, das heißt, wenn jemand unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, ist der Klient besser beim Psychologen aufgehoben.”

Nehmt ihr die Storys eurer Klienten abends mit nach Hause?

“Nein, das muss man ganz klar trennen, das lernt man auch in der Ausbildung zum Trauerbegleiter. Die Geschichten dürfen sich nicht an dich haften. Wir hören allerdings auch nicht nur traurige Krankenhausgeschichten, sondern auch von schönen Erinnerungen.”

Was waren eure persönlichen Kraftquellen, als ihr geliebte Menschen verloren habt?

“Hauptsächlich die Familie, alte und neue Freunde. Bei Anemone auch die Musik und Kreativität. Das hat unglaublich viel Energie gegeben.”

Warum tun sich so viele Menschen schwer, jemanden anzusprechen, der gerade einen Trauerfall verkraften muss?

Weil es oft eine Konfrontation mit den eigenen Erlebnissen ist. Viele Menschen haben Angst vor ihren verdrängten Gefühlen, die dabei wieder aufflammen. Auch in Schulen wird zu wenig über das Thema Tod gesprochen – weil es die Eltern auch gar nicht wollen. Sie wollen die Kleinen vor dem Thema beschützen. Das bringt aber gar nichts. Denn wenn nicht über den Tod geredet wird, wird er irgendwann zum Monster.”

Wie man mit trauernden Freunden und Kollegen am besten umgeht und wie man sie unterstützen kann, dazu haben Madita und Anemone ein Tutorial erstellt:

Trauerberatung

Wie stellt ihr euch eure eigene Beerdigung vor?

Madita: “Mit viel Glitzer und Konfetti!”

Anemone: “Kommt drauf an, ob ich mich oder meine Familie in den Vordergrund stelle. Meine Angehörigen sollen einfach kommen, wie sie sich am wohlsten fühlen. Was einem bewusst sein sollte: Es gibt keine Regeln, an die man sich beim Trauern halten muss! Als meine Mutter gestorben ist, da haben wir keinen altmodischen Kranz gemacht, sondern eine Blumenwiese, die quer über den Sarg gelaufen ist. Und um Gottes Willen – wenn ihr einen Trauerfall habt und ihr müsst euch um die Formalitäten kümmern: Lasst euch Zeit! Überlegt ganz in Ruhe: Was ist mir wichtig?

Arbeitet ihr auch mit Kindern?

“Ja. Wir haben zum Beispiel eine Kindergruppe, da sind die Kinder zwischen 3 und 6. Die verstehen auch schon, worum es geht. Da wird zum Beispiel gemalt – das ist sehr interessant, wie Kinder ihre Trauer ausdrücken.”

Habt ihr Angst vor dem Tod?

Madita: “Nein, ich habe Angst vor Krankheit, aber nicht vor dem Tod an sich – obwohl wir natürlich alle nicht wissen, was da passiert. Ich persönlich glaube, dass irgendwas von einem übrig bleibt. Es ist ja auch wissenschaftlich bewiesen, dass sich Energie nicht auflöst. Man kann auch viel dafür tun, dass man nicht so angsterfüllt stirbt. Ich lebe jeden Tag so, als wäre es der Letzte. Denn ich will niemals das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben. Wer sich viel mit dem Tod beschäftigt, der lebt auch intensiver.”

Was sich ja viele Fragen: Was schreibe ich in eine Trauerkarte?

“Es ist unmöglich, es dem anderen mit einer Karte wirklich einfacher zu machen. Man sollte mit seinen Zeilen ausdrücken: Ich bin bei dir und du bist nicht alleine – oder eine schöne Erinnerung an den Verstorbenen schenken. Zum Beispiel kann man eine Geschichte in der Karte erzählen, die der Angehörige noch gar nicht kannte. Besser für die Beileidsbekundungen keine Floskeln aus dem Internet suchen – das ist abgedroschen!”

 

 

Source: Aktue