Vergessene Menschen: Warum tapfere Personen selten die Anerkennung bekommen, die sie verdienen

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Es gibt viele berechtigte Gründe, warum wir Menschen Aufmerksamkeit schenken – stille Tapferkeit gehört in unserer Gesellschaft bislang nicht dazu. Es ist an der Zeit, das zu ändern.

Eine Freundin hat mir kürzlich etwas erzählt, das mich bis heute umtreibt: Sie hat mit ihrem Vorgesetzten über eine mögliche Beförderung gesprochen. Sie hätte gerne einen Senior-Titel, was nach fast zehn Jahren in ihrem Job sicher nicht abwegig ist. Ihr Chef hat sie abgewiesen und ihr einige Bereiche genannt, in denen sie sich noch entwickeln müsse. Parallel dazu ist etwas zweites geschehen: Im Frühjahr ist ihre Kollegin zurückgekommen, die zuvor drei Jahre lang krank geschrieben war. Nach dieser Zeit ist sie verständlicherweise raus aus dem Arbeitsalltag und braucht zurzeit viel Unterstützung von ihrem Team. Alles kein Problem. Was meiner Freundin allerdings Schwierigkeiten bereitet: Diese Kollegin hat jetzt einen Senior-Titel bekommen. Aufgrund der Dauer, die sie bereits in dem Unternehmen ist. 

Auf der einen Seite denke ich: So sind eben die Regeln. Sollte die Kollegin etwa keinen Senior-Titel bekommen, weil sie krank war? Ausgeschlossen, auf keinen Fall darf sie dafür bestraft werden. Auf der anderen Seite fühle ich mich unheimlich frustriert für meine Freundin, denn: Sie hatte es in den letzten Jahren unheimlich schwer. Ihr Vater ist gestorben, für ihre demente Mutter musste sie ein Pflegeheim finden. Meine Freundin hat ohnehin ein paar Themen und verliert sich manchmal in düsteren Gedanken. Es ging ihr oft nicht gut, aber sie hat einen Weg gefunden, mit all dem umzugehen – ohne sich längere Zeit krankschreiben zu lassen. Und wie zum Dank dafür bekommt sie jetzt: nicht ihren Senior-Titel.

Niemand hat es leicht, auch nicht die, bei denen es so aussieht

Die Geschichte meiner Freundin mag ein unglücklicher Einzelfall sein. Doch in mir hat sie trotzdem eine Frage aufgeworfen, die mich einfach nicht loslässt: Kann es sein, dass wir in unserer Gesellschaft die Tapferen vernachlässigen? Dass wir jenen zu wenig Aufmerksamkeit, Anerkennung und Mitgefühl schenken, die ihre Probleme und Krisen für sich und im Verborgenen bewältigen? Denn machen wir uns nichts vor: Auch Menschen, auf die immer Verlass ist, haben es schwer. In jedem Leben gibt es Schmerz, Verlust, Krankheit und Finsternis. Nur weil wir es einigen nicht anmerken, heißt das nicht, dass sie nichts auszustehen haben. 

“Ich glaube nicht, dass Menschen, die mit ihren Problemen klarkommen, es nötig haben, dass andere ihnen dafür applaudieren”, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Gitta Jacob. Ihr zufolge sei es tendenziell eine gesunde und konstruktive Bewältigungsstrategie, schmerzhaften Themen nicht mehr Raum zu geben als unbedingt nötig. Beziehungsweise das Leben ihretwegen nicht anzuhalten oder einzuschränken. Als Beispiel nennt sie den Umgang mit dem Tod eines Angehörigen: “Nach einem Verlust hilft es vielen Trauernden weitaus mehr, wenn sie ihren Alltag schnell wieder weiterführen. Wenn sie sich unter Menschen begeben, die ihnen Verständnis entgegenbringen, seien es Kolleginnen oder Freunde. Sich wochenlange Auszeiten zu nehmen, um sich mit der Trauer auseinanderzusetzen, ist meistens eher kontraproduktiv.” 

Gitta Jacob trifft hier einen relevanten Punkt: Wer Wege findet, die Krisen des Lebens zu überstehen, ohne dass andere davon allzu viel mitbekommen, tut das letztlich für sich selbst, nicht für die Anerkennung. Doch die Geschichte meiner Freundin kann ich trotzdem nicht ausblenden: Wieso müssen die stillen, tapferen Menschen manchmal Situationen erleben, die sich falsch und unfair anfühlen? 

6 Anzeichen, dass du weniger Wertschätzung bekommst, als du verdienst

Das Problem besteht vermutlich darin, dass andere Menschen ihnen nicht ansehen, was sie belastet, sondern in erster Linie wahrnehmen, dass sie zurechtkommen. Das wiederum kann dazu führen, dass sie von den Tapferen mehr verlangen. Und dass sie für selbstverständlich halten, dass sie da sind und was sie beitragen. Und das wiederum kann zur Folge haben, dass folgende Erfahrungen für einige stille, doch zuverlässige Menschen zum Alltag gehören.

  • Andere Menschen denken, du hättest es leicht
  • Niemand honoriert das, worauf du stolz bist
  • Du bist pflicht- und verantwortungsbewusst und erledigst erst deine Aufgaben, ehe du dich um dich kümmerst
  • Du gehst den schweren Weg, wenn du glaubst, dass es richtig ist, obwohl es einen leichteren gibt
  • Du behältst deine Probleme eher für dich und versuchst, sie selbst zu lösen
  • Andere beneiden dich für Dinge, die dich Kraft kosten oder gekostet haben

Mitgefühl für alle, bitte!

Ich erachte es als eine große Stärke unserer Gesellschaft und von Menschen allgemein, dass wir uns bemühen, Verständnis aufzubringen, Rücksicht zu nehmen und Hilfe anzubieten, wenn eine Person ihre Last alleine nicht tragen kann. Dabei hat es im Idealfall niemanden zu interessieren, was für eine Last es ist und warum sich jemand schwer tut. “Ich kann nicht” ist genug, wenn sich alle gegenseitig vertrauen und ihr Bestes geben. Ich wünschte allerdings, dass wir genauso mitfühlend und respektvoll mit jenen Menschen umgingen, die diese drei Worte nicht gebrauchen. Dass wir ihnen nicht noch mehr zumuten, nur weil sie es immer irgendwie schaffen. Und dass wir ihre Bedürfnisse, Schwächen und Fehler ebenso wenig gegen sie verwendeten, wie wir es bei Menschen tun, bei denen wir sehen, dass es ihnen schlecht geht. Ich möchte hier ganz ausdrücklich niemanden dazu ermutigen, keine Hilfe anzunehmen und alles mit sich allein auszumachen. Doch all jenen, die sich in den oben genannten Punkten wiederfinden, sage ich einmal an dieser Stelle, weil sonst nicht viel Raum dafür ist: Ihr seid toll. Und ihr verdient mehr Wertschätzung und Zuspruch, als ihr bekommt. 

Source: Aktue