Von True Crime zu True Love: "Ihr seid zwei Frauen, beide blond und jung? Das geht nicht!"

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Die Medien seien ein Haifischbecken, warnte man Linn Schütze und Leonie Bartsch zu Beginn ihrer Karriere. Statt sich anzupassen, ebnen sie einen neuen Weg: Sie setzen auf bedingungslose Unterstützung ohne Beißreflex.

Jetzt stehen die Podcasterinnen auf der “Forbes 30 under 30″-Liste, haben eine Million Hörerinnen und eine gemeinsame Produktionsfirma. Im Interview mit BRIGITTE räumen sie mit dem Vorurteil auf, es könne nur eine geben.

BRIGITTE: Ihr widmet euch nach True Crime bei “Mord auf Ex” in eurem neuen Podcast jetzt “True Love”, also der Liebe. Man fragt so was immer nur Paare: Wie ist denn eure Kennlerngeschichte?

Linn: Wir haben uns im Volontariat kennengelernt und ich würde sagen, es war Liebe auf den ersten Blick. Leo kam zu spät. Leo hat ein Talent dafür, immer zu spät zu kommen. 

Leo: Ich bin nicht stolz darauf, am ersten Arbeitstag zu spät zu kommen, das ist das Einzige, was du wirklich vermeiden möchtest.

Linn: Aber du hattest einen großen Auftritt dadurch. Sie hatte einen Kaffeebecher in der Hand, ein bisschen verpeilt und ich dachte: Boah, ist die cool! Und: Ich bin das Gegenteil! Ich war wahrscheinlich 20 Minuten zu früh da.

Und wie kam es zu eurem Podcast?

Linn: Ich habe immer viel True-Crime-Podcasts gehört und immer hat man auf eine neue Folge gewartet, das hat mir zu lange gedauert. Da meinte ich in einer Kaffeepause: Leute, ich glaub das ist das Ding, wir sollten das machen! Und alle so: Auf gar keinen Fall! Leo war die Einzige, die gesagt hat: Joa, finde ich cool, machen wir.

Leo: Ich hab vorher immer gesagt, wenn ich eine Person finde, die genau so eine Vision hat, die alles dafür geben würde, sich zu Hause hinsetzt, Skripte schreibt, Shootings überlegt, dann will ich das mit ihr durchziehen. Und dann habe ich Linn kennengelernt. Und ich weiß noch genau, ich habe meinen Freund:innen direkt geschrieben: Ich habe die Person gefunden.

Leo: Wir haben ja nie damit gerechnet, dass das so durch die Decke geht, dass wir mal eine eigene Produktionsfirma haben. Auf eine gewisse Art macht man sich ja immer erst mal zum Affen, wenn man mit etwas rausgeht und die erste Folge ist online – und das sehen dann am Anfang nur deine besten Freunde und deine Mutter. Aber man muss an Sachen glauben und sie durchziehen.

Wir leben die Philosophie: Es schadet dir absolut gar nicht, wenn du andere Leute supportest. Gerade Frauen müssen sich unterstützen.

Frauen wird in alten Rollenbildern ja immer noch Konkurrenz vorgeworfen. Gab es bei euch immer nur ein Mit- statt ein Gegeneinander?

Linn: Ja und ich glaube, der Podcast lebt von unserer Verbindung. Es ist schön, jemanden zu haben, mit dem man den ganzen Weg geht, der ja auch mal überfordernd ist. Im Duo hast du immer jemanden, mit dem du alles besprechen kannst. Wenn ich alles alleine entscheiden müsste, würde ich verrückt werden.

Man sagt über die Medienbranche ja, dass sie ein Haifischbecken ist. Das hat uns schon immer gestört und stört uns noch. Wir leben die Philosophie: Es schadet dir absolut gar nicht, wenn du andere Leute supportest. Gerade Frauen müssen sich so hart unterstützen. Da gibt es immer das Klischee, nur eine kann an der Spitze stehen – im Gegenteil. Wir haben ganz viele Podcaster:innen, mit denen wir zusammenarbeiten und nur davon profitieren. Wir sind sehr happy darüber, dass alle Leute, mit denen wir arbeiten, genauso ticken. Obwohl man in der gleichen Bubble ist, unterstützt man sich gegenseitig und das ist Gold wert. Wenn andere einen Ratschlag brauchen, können sie sich immer bei uns melden. Es ergibt keinen Sinn, sich gegenseitig im Weg zu stehen.

Das Wichtigste an unserer Geschichte ist, dass wir uns treu bleiben.

Stichwort Haifischbecken: Wurden euch mal Steine in den Weg gelegt?

Linn: Man muss ganz ehrlich sagen: Sobald du viel Aufmerksamkeit bekommst, bekommst du auch richtig viel Hass. Das war für uns überfordernd. Du merkst dir nur negative Kommentare und es wird richtig persönlich, da schreibt dann jemand, wenn ich Linns Stimme hätte, würde ich mich umbringen. Da bin immer wieder froh, dass wir uns haben.

Leo: Ja, ich finde Linns Stimme mega schön! Da sind wir unser Schutzschild. Jeder, der sich entscheidet, etwas in der Öffentlichkeit zu machen, muss mit Gegenwind rechnen. Mal sollen wir lockerer reden, dann sollen wir persönlicher werden, dann bloß nichts Persönliches erzählen und dann sind wir wieder viel zu locker. Es kommt alles. Dann musst du auf dein Bauchgefühl hören. Wir hatten Glück, wir haben bei Pro7 gestartet, wir hatten da riesengroße Unterstützung. Aber die haben uns auch gesagt: Super, wenn es gut läuft, kann es bleiben. Wenn nicht, dann nicht.

Linn: Es gab die eine oder andere Person, die herumgerannt ist und gefragt hat: Was wollen die zwei kleinen Volontärinnen denn hier? Aber wie Leo sagt, wir haben irgendwann gelernt: Du musst auf dich selbst hören, sonst wirst du wahnsinnig. Das Wichtigste an unserer Geschichte ist, dass wir uns treu bleiben.

Habt ihr als Frauen mit Vorurteilen und Rollenklischees kämpfen müssen?

Leo: Wir sind mittlerweile sehr autonom und selbstbestimmt, zu 100 Prozent unsere eigenen Chefinnen, was ein tolles Privileg ist. Als wir die Möglichkeit hatten, unsere Investigativreportage “Die Nachbarn” als Dokumentation umzusetzen, haben plötzlich ganz viele Menschen mitgesprochen. Dann kam da plötzlich: “So, ihr seid ja zwei Frauen und ihr seid beide blond und jung – das geht nicht. Wir müssen das jetzt ändern. Leo, kannst du jetzt vielleicht immer Lederjacke tragen und auf dem Scooter rumdüsen, das wäre eine coole Rolle.” Wir sollten uns voneinander abgrenzen, weil ältere Männer nicht damit klarkommen, wenn wir zu gleich sind. Das war eine harte Zeit.

Wie geil ist es, dass die True-Crime-Podcasts ausnahmsweise mal von Frauen dominiert werden?! 

Linn: Manchmal hatten wir Momente, wo wir gedacht haben: Würdet ihr das zwei Männer auch fragen? Liegt das daran, dass wir zwei Frauen sind und nicht naiv und dümmlich wirken dürfen?

Und das ist so cool an Podcasts. Es geht ausnahmsweise mal nur um den Inhalt! Dich guckt niemand an und sagt, also die Frau hat zu viel auf den Rippen, die Frau sieht unsympathisch aus. Es geht nur um die Geschichten, die wir erzählen. Das ist, warum wir es so lieben. Wir haben ein großes Fernsehprojekt abgesagt, weil wir lieber “True Love”, also einen neuen Podcast, produzieren wollten.

Es gibt doch so viele ähnliche Männertypen in der Öffentlichkeit, die mit den gleichen Meinungen über die gleichen Themen sprechen.

Linn: Das war am Anfang auch so ein Ding: Wir waren der zweite weibliche True-Crime-Podcast und dann wurde auf einmal ein Riesending eröffnet: Die machen das nach! Hat das je jemand zu “Gemischtes Hack” gesagt, weil es schon “Fest und Flauschig” gab? Die Podcastbranche ist voller Männer – wie geil ist es, dass die True-Crime-Podcasts ausnahmsweise mal von Frauen dominiert werden?!

Heute steht ihr zwei auf der “Forbes 30 under 30”-Liste. Habt ihr einen Rat für andere Frauen, die für etwas brennen und noch ganz am Anfang stehen?

Leo: Wenn ihr eine Idee habt und andere erst mal daran zweifeln, macht es trotzdem. Ihr könnt einen Podcast ganz einfach hochladen, es ist nur ein Klick. Ihr müsst die Recherche machen und nur für euch Qualitätsstandards definieren und wenn die für euch passen, dann seid ihr eure eigenen Chefinnen.

Leute melden sich, die selbst schlimme Dinge erlebt haben und sagen: Ich fühle mich das erste Mal gehört.

Wie geht ihr mit dem Zwiespalt im True-Crime-Bereich um, Respekt vor dem Leid zu haben und gleichzeitig Unterhaltung zu machen?

Linn: Ein True-Crime-Podcast ist auch ein Unterhaltungsmedium, da muss man nicht drumherum reden. Das ist ein Thema, über das wir viel diskutieren. Wir haben angefangen, vor allem den Betroffenen eine Stimme zu geben. Das gibt mir sehr viel, wenn sich Leute bei uns melden, die selbst schlimme Dinge erlebt haben und sagen: Ich fühle mich das erste Mal gehört.

Wir haben in einer Folge darüber gesprochen, dass bei Vergewaltigungen Frauen oft das Gefühl haben, sie schämen sich dafür. Das ist kompletter Mist: Ihnen wurde etwas Schreckliches angetan, sie tragen keine Schuld daran. Wir haben erzählt, dass wir auch mal schlimme Erfahrungen gemacht haben und danach hat uns eine junge Frau geschrieben, dass sie daraufhin das erste Mal ihren Eltern davon erzählt hat, was ihr passiert ist. Da haben wir gemerkt: Wir können Einfluss nehmen, wir haben aber auch eine Verantwortung. 

Leo: In der letzten Folge “Mord auf Ex” haben wir über die AfD und den Rechtsruck in Deutschland gesprochen. Wir wussten, dass wir damit Hörer:innen verlieren. Aber die Reichweite, die man hat, kann man für etwas nutzen. Wir waren auf den Demos und hatten Gänsehaut, dann dachten wir: Wenn wir teilweise eine Million Hörer haben, lass uns versuchen, eine Geschichte zu finden, in der wir unseren Einfluss nutzen. Wir haben also mit einem Ex-Neonazi gesprochen. Übrigens, wir haben Follower:innen gewonnen, die Folge hat gut geklickt.

Linn: Das hat uns wieder gezeigt: Es lohnt sich, Haltung zu zeigen. Womit wir wieder beim Anfang angelangt sind: Es ist wichtig, dass wir uns selber treu bleiben. Auch wenn es Gegenwind gibt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Source: Aktue