Der Film “Heldin” zeigt eine Krankenpflegerin im nicht zu gewinnenden Wettlauf gegen die Zeit. Auch Teresa Garb, 31, war leidenschaftliche Krankenpflegerin und ist aus ihrem Beruf ausgestiegen. Wir haben sie gefragt, warum.
Seit Jahrzehnten wird vom Pflegenotstand gesprochen, doch passiert ist wenig. Im Gegenteil, die Lage in den Krankenhäusern und Pflegeheimen spitzt sich zu, weil immer mehr Fachkräfte fehlen. Kein Wunder, dass Menschen in Pflegeberufen laut AOK ungefähr doppelt so häufig an Burnout erkranken wie Beschäftigte anderer Branchen. Ein Teufelskreis, denn viele entscheiden sich für den “Pflexit” und hängen den Beruf an den Nagel, für den sie einmal gebrannt haben. Eine von ihnen ist Teresa Garb, die wie ihr Mann die Notbremse gezogen hat und aus ihrem Beruf ausgestiegen ist. Beide arbeiten nun in der Pflegeausbildung – sie in der Praxis, er in der Theorie.
BRIGITTE: Der Pflegenotstand spitzt sich zu und macht den Job für Pflegende immer schwieriger. Was ist deiner Erfahrung nach das größte Problem in dem Beruf?
Teresa Garb: Die individuelle Belastung. Man hat so viele Stressoren, die auf einen einprasseln, dass jede:r einzelne am Limit arbeitet. Gleichzeitig wird sich nicht gut um die Pflegenden gekümmert, von denen ja erwartet wird, dass sie sich um andere kümmern. Hinzu kommt die Persönlichkeit von Pflegenden: Sie wollen für andere da sein und verlieren sich dabei selbst manchmal aus den Augen.
Welche Art von Persönlichkeit meinst du genau?
Menschen, die den Pflegeberuf wählen, finden ihr Glück und ihre Zufriedenheit darin, anderen etwas Gutes zu tun. Aber das ist in dem Job nicht mehr machbar, weil man sich um zu viele Patient:innen kümmern muss. Die Verunsicherung fängt schon in der Ausbildung an, denn es gibt eine enorme Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Selbst die Lehrenden sagen: Wir wissen, dass das, was wir euch beibringen, in der Praxis nicht umsetzbar ist. Man kann seinen Job also gar nicht mehr gut machen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Um rückenschonend zu arbeiten, muss man Patient:innen zu zweit lagern. In der Realität zeigt einem aber jede:r den Vogel, wenn man nach einer zweiten Person fragt, beziehungsweise es ist gar niemand da, den man dazuholen könnte. Also bettet man den 150-Kilo-Patienten alleine um, und das ist weder für den Kranken noch den Pflegenden gut. So lernt man früh, dass man seine Aufgaben gar nicht richtig erfüllen kann und hat immer das Gefühl: Ich bin nicht ausreichend. Das bringt eine alltägliche Unzufriedenheit mit sich.
War das bei deiner Ausbildung damals eigentlich auch schon so?
Als ich gelernt habe, konnte ich auf Station bei einer Pflegekraft mitlaufen und von ihr lernen. Heute werden die Azubis ins kalte Wasser geworfen, es heißt einfach: Mach! Oft sind das sehr junge Menschen, die anfällig sind für die Zweifel, die in ihnen gesät werden: Mache ich meinen Job gut genug? Was ist richtig: das, was mir die Schule vermittelt oder das, was die Praxis sagt? Die Pflege ist ein toxisches System.
Wie meinst du das?
Man hat keine Zeit, sich gut um die Patient:innen zu kümmern. Das führt zu Ohnmachtsgefühlen und Wut, und die Wut staut sich auf, was wiederum ein toxisches Arbeitsumfeld begünstigt. Da sind ganz viele Menschen auf Station, die aufgrund der massiven Überforderung in alle Richtungen treten. Das macht es für jede:n einzelne:n noch schlimmer.
Wie ließe sich aus deiner Sicht das System weniger toxisch gestalten?
Meine ganz persönliche Hoffnung? Dass die Generation Z der Pflege den Rettungsring zuwirft!
Wie das?
Es heißt immer, diese Generation habe keine Lust zu arbeiten, dabei hat sie einfach nur gelernt, Nein zu sagen. Die Jungen wissen, wie es ihnen geht und was sie brauchen, und dafür stehen sie ein. Und das ist genau das, was die Pflege benötigt: Menschen, die Selfcare betreiben. Ein System lebt nur solange, solange es Menschen gibt, die es stützen.
Das größte Problem ist doch aber der Fachkräftemangel, und den wird die Generation Z auch nicht lösen können.
Der Fachkräftemangel rührt ja unter anderem daher, dass so viele dem Pflegeberuf den Rücken kehren. Wenn eine Generation kommt, die sagt: “In meiner Freizeit brauchst du mich gar nicht anzurufen und fragen, ob ich einspringen kann, da kümmere ich mich um mich selbst”, dann funktioniert das System nicht mehr. Wenn Menschen diesen Beruf ergreifen, die klare Grenzen setzen, dann muss sich was ändern.
Als Praxisanleiterin bildest inzwischen selbst Pflegekräfte aus. Hast du nicht manchmal den Impuls, dem Nachwuchs zu sagen: Leute, sucht euch lieber einen anderen Job?
Nein, ich versuche nicht, sie davon abzubringen, denn die Pflege ist eigentlich ein sehr schöner und vielseitiger Beruf. Er kann einem sehr viel geben – auf psychologischer, fachlicher und zwischenmenschlicher Ebene. Deshalb versuche ich, Menschen auszubilden, die das System hinterfragen und gut auf ihre Bedürfnisse hören. Ich versuche, ihnen mitzugeben, dass sie mindestens so wichtig sind wie die Kranken, die sie pflegen.
Du schulst deine Schüler:innen also nicht nur praktisch, sondern auch psychologisch, damit sie mit den Belastungen klarkommen, die der Beruf mit sich bringt?
Auf jeden Fall. Man darf auch nicht vergessen, dass Pflegende für das Leben von Menschen verantwortlich sind. Doch das System gibt ihnen nicht den Raum, angemessen damit umzugehen. Ich musste zum Beispiel mal einen Mann reanimieren und plötzlich sah ich in seinen Augen, dass er tot ist. Kurz zuvor hatte ich noch mit ihm gesprochen. Er wurde einfach vom Untersuchungstisch gehoben und mein Chef sagte: “Teresa, ich bringe den Toten runter. Bitte desinfiziere alles, im Nachbarraum liegt der nächste Patient, den legst du auf und dann geht’s weiter.” In diesem Moment wäre es wichtig für mich gewesen, sagen zu können: Ich habe gerade etwas ganz Krasses erlebt und ich suche mir jetzt einen Raum, damit ich das verarbeiten kann.
Du versuchst, das System zu subvertieren, indem du deine Auszubildenden ermutigst, für sich einzustehen. Was aber müsste deiner Meinung nach politisch passieren?
Es muss Geld fließen. Die Pflege verdient zwar gar nicht so schlecht, wie viele glauben, aber das, was man reingibt und das was rauskommt, passt nicht zusammen. Man arbeitet im Schichtdienst, und wenn man auf einen Geburtstag eingeladen ist, kann man oft nicht hingehen, weil man jedes zweite Wochenende arbeitet oder Nacht- oder Spätschicht hat. In der Freizeit muss man immer damit rechnen, gefragt zu werden, ob man einspringen kann. Und es ist ein wirklich familienunfreundlicher Beruf. Wo soll das Kind hin, wenn man alleinerziehend ist und Nachtdienst hat, oder wenn beide Eltern Schicht arbeiten? Mein Mann und ich haben das gemacht, bevor unsere Tochter kam, und wir haben uns manchmal drei, vier Tage nicht gesehen. Das sind alles sehr große Einbußen – und dafür bekommt man viel zu wenig zurück.
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