Abtreibungsrecht : Wird Paragraf 218 also doch nicht abgeschafft, Frau Lang?

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Laut Medienberichten finden 80 Prozent der Bevölkerung es falsch, dass ein Schwangerschaftsabbruch immer noch rechtswidrig ist. Trotzdem gibt es den Paragraphen 218 noch. Warum selbst die Grünen bei dieser urfeministischen Forderung aktuell reserviert sind, hat BRIGITTE-Redaktion die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, gefragt.

Und doch ist nichts klar: Denn auch wenn es laut aktuellen Medienberichten 80 Prozent der Bevölkerung in einer Umfrage falsch finden, dass der Abbruch rechtswidrig ist, ist die Ampel seit Veröffentlichung des Kommissionsberichts bei diesem Thema eher zurückhaltend. 

Warum selbst die Grünen bei dieser urfeministischen Forderung aktuell reserviert sind, das hat BRIGITTE-Redakteurin Alexandra Zykunov die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, gefragt.   

BRIGITTE: Frau Lang, Sie sind aktuell zwei Personen in einer: Ricarda Lang, die Feministin, die seit Jahren die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fordert, und die Bundesvorsitzende der Grünen, die deswegen keinen neuen Ampelstreit will. Welche Ricarda Lang bestimmt aktuell Ihre Gefühlslage?  

Ricarda Lang: Sowohl Ricarda, die Feministin, als auch Ricarda, die Vorsitzende einer Partei, die sich schon lange für das Thema einsetzt, freuen sich sehr über die Ergebnisse des Kommissionsberichts. Wir haben in der Koalition bereits den 219a abgeschafft und dann den Kommissionsbericht auf den Weg gebracht, der jetzt veröffentlicht wurde. Darauf habe ich mich persönlich in den Koalitionsverhandlungen mit Kollegen aus SPD und FDP geeinigt. Wir wollen Frauenrechte stärken. 

Der Bericht sagt klar: Die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten ist nicht haltbar. Wie wird die Ampel jetzt darauf reagieren?  

Ich glaube, vielen Menschen ist gar nicht klar, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nach wie vor rechtswidrig sind – und nur nach Beratung straffrei bleiben. Was für Stigma! Und das in einer für viele so belastenden Situation. Und ich erinnere daran, dass das für Frauen in ostdeutschen Bundesländern ein herber Rückschritt war. Der Bericht schlägt nun eine zeitliche Differenzierung vor: Ein Abbruch darf in der Frühphase, also in den ersten drei Monaten, nicht mehr rechtswidrig sein. Und bleibt im letzten Trimester verboten, spätestens ab dem Zeitpunkt, wenn das Ungeborene überlebensfähig ist. Ich teile diese Einschätzung. Sie ist eine balancierte Abwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Schließlich geht es um ihren Körper, ihre Entscheidung. 

Aber wie geht es jetzt konkret weiter? Und sagen Sie bitte jetzt nicht “Wir wollen uns das jetzt genau anschauen”.Wird es in dieser Legislaturperiode konkrete Schritte, Arbeitsgruppen, einen Gesetzesentwurf geben? 

Wir gehen jetzt in die weitere Debatte, auch im Bundestag. Es braucht den Austausch, sowohl im Parlament als auch in der Breite der Gesellschaft. Ich persönlich weiß, wo ich hin will: dass wir die jetzige Situation auflösen und fürs erste Schwangerschaftsdrittel eine differenzierte Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches finden. Damit stärken wir die Versorgungslage und die Rechte von Frauen. Und um das zu erreichen, werden wir auch auf die anderen Parteien zugehen. Dieser Bericht ist dafür eine sehr gute Grundlage, lässt aber ja auch Fragen offen. 

Sie betonen immer wieder, dass Sie einen Abbruch im ersten Schwangerschaftsdrittel entkriminalisieren wollen. Die komplette Streichung des Paragrafen 218 wird in dieser Legislatur also nicht passieren?  

Na ja, momentan gilt §218 auch für den Fall, dass solche Abbrüche gegen den Willen der Schwangeren passieren. Das dient ja klar dem Schutz der Frau und gehört ins Strafgesetzbuch. Grundsätzlich teile ich die Empfehlung der Kommission, die ja lautet: Entkriminalisierung in den ersten drei Monaten, während es für die letzten drei Monate nicht erlaubt sein soll.   

Das wird gerade für Ihre feministischen Wähler:innen eine Enttäuschung sein, zumal die Forderung, Abbrüche grundsätzlich nicht mehr im Strafgesetzbuch zu regeln, sowohl bei den Grünen als auch bei der SPD im Wahlprogramm stand. Ist einer der Gründe für Ihre Zurückhaltung, dass Sie die Union nicht verärgern wollen und schon auf Schwarz-Grün bei der nächsten Bundestagswahl 2025 hoffen?  

Das ist wirklich Unsinn. Ich will, dass wir bei dem Thema vorankommen. Und ich glaube nicht an den Erfolg des Prinzips Brechstange. Deswegen war auch dieser sachliche Bericht wichtig. Er ist ein substantieller Schritt nach vorn und damit auch Erfolg all derjenigen, die sich für dieses Thema stark machen. Der nächste Schritt ist nun eine respektvolle Debatte, insbesondere auch mit denen, die nicht seit Jahrzehnten dafür eintreten. Ich will keine Zustände wie in den USA, wo erbittert und emotional gekämpft wird – und am Ende Frauen die Leidtragenden sind. 

Aber solche Zustände haben wir hier nicht. Wieso warnt jetzt selbst die Ampel vor einer Spaltung der Gesellschaft? Dabei finden laut einer aktuellen Umfrage des Familienministeriums es 80 Prozent der Bevölkerung falsch, dass Abbrüche rechtswidrig sind. Selbst bei den Unionwähler:innen sind es 78 Prozent.  

Die Mehrheiten für so eine Veränderung müssen ja gerade dann stehen, wenn sich alle damit beschäftigen. Frauenrechte an sich sind ja auch kein spaltendes Thema, ganz im Gegenteil erlebe ich, dass sich Menschen aus Stadt und Land und ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft mehr Selbstbestimmung wünschen. Und die jetzige Regelung ist ganz sicher kein gesamtgesellschaftlicher Kompromiss. Aber wir sehen, dass dieses Thema instrumentalisiert werden kann, das müssen wir ernst nehmen, wenn wir etwas verändern wollen. Es geht um die Frage: Gehen wir Richtung Irland – wo durch eine breite Debatte Mehrheiten die Abschaffung des Verbots durchgesetzt haben – oder Richtung Polarisierung wie in den USA. Es gibt so viele Länder, in denen das Thema von rechts instrumentalisiert wird. Das darf uns nicht passieren. Ich wünsche mir, dass wir respektvoll und miteinander den richtigen Weg finden, statt auf Hauruckverfahren zu setzen. Ich will die von Ihnen angesprochene Mehrheit, die sich bei uns für die Entkriminalisierung ausspricht, auch halten.  

Und eine “Legalisierung light”? Man könnte den Abbruch, wie Sie sagen, zumindest bis Woche 13 legalisieren. Ist das etwas, das Sie noch in dieser Legislatur als Gesetzesentwurf herausarbeiten könnten?  

Wir werden in dieser Legislatur über die nächsten Schritte sprechen. Den Gedanken der Kommission, dass hier differenziert werden muss und gerade die Frühphase der ersten zwölf Wochen nicht im Strafgesetzbuch geregelt werden darf, finde ich gut. Das würde auch die Ärztinnen und Ärzte aus der Schusslinie nehmen.  

Wie sieht es beim Thema Pflichtberatung aus, die man durchlaufen muss, bevor man abtreiben darf?  

Die Beratungsstellen machen wichtige Arbeit. Damit es funktioniert, müssen diese Gespräche aber ergebnisoffen sein – und das sind sie nicht, wenn es dort heißt: “Das ist übrigens rechtswidrig, was du hier machst”. Ich würde stattdessen für ein Recht auf Beratung plädieren und die Infrastruktur dafür stärken, damit Frauen in solch einer Situation nicht alleingelassen werden. Außerdem ist es wichtig, die Prävention zu stärken, Aufklärung, kostenlose Verhütungsmittel usw. 

Und wie stehen Sie zur aktuellen Zwangspause, dass man drei Tage nach der Beratung erst mal warten muss bis zum eigentlichen Abbruch?  

Es ist durchaus sinnvoll, dass ich nach einer Beratung die Zeit habe, mich damit auseinanderzusetzen. Aber drei Tage sind ein deutlich längerer Zeitraum als im internationalen Vergleich und können für Frauen, die sich klar entschieden haben, eine zusätzliche Belastung sein. Gerade auch um solche Fragen zu klären, finde ich eine Debatte wichtig.  

Die Zahl der Ärzt:innen, die Abbrüche anbieten, hat sich in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Entweder machen Ärzt:innen aus Angst vor Anfeindungen keine Abbrüche oder – und das wissen viele nicht – weil sie es gar nicht können. Abbrüche sind kein verpflichtender Teil medizinischer Ausbildung.  

Ich kenne auch Mediziner:innen, die den Abbruch nicht durchführen, weil sie Angst um ihre Karrieren haben. Das muss man sich mal vorstellen! Oder dass es nicht an den Unis gelehrt wird, weil es eben eine Straftat darstellt. Die Strafbarkeit im SGB ist ja der Grund für die desaströse Versorgungslage. Hier würde die Entkriminalisierung Abhilfe schaffen, damit Frauen eben nicht mehr so weit fahren oder um Termine bangen müssen. 

Und wie sieht es mit der Forderung aus, dass der Abbruch von der Krankenkasse übernommen wird? Auch das wissen die wenigsten: Der Abbruch kostet mehrere hundert Euro und in den meisten Fällen müssen die Frauen ihn aus der eigenen Tasche bezahlen. Gerade für mehrfach Marginalisierte ein Hindernis.  

Dafür habe ich keinerlei Verständnis. Wir wollen, dass es eine kassenärztliche Leistung wird. Dass es bisher nicht so ist, ist ja leider eine direkte Folge der aktuellen Lage, da ein strafrechtlich geregelter Eingriff nicht von den Kassen übernommen werden kann. Wir müssen weg von diesem Denken, dass Frauen, die diesen Schritt gehen, überall gegängelt werden, auch finanziell. 

Und dennoch: Was sagen Sie Ihren Wählerinnen, wenn Sie als Partei dieses urgrüne Thema trotz klarer Empfehlung der Kommission nicht mehr in dieser Legislatur angehen werden?  

Wir sind das Thema schon angegangen: 219a haben wir abgeschafft, nun gibt es diesen Bericht. Wir werden auch die verbleibende Zeit in dieser Legislatur nutzen, um auszuloten, was möglich ist. Jeder nächste Schritt braucht parlamentarische Mehrheiten. Unser Ziel bleibt dabei sehr klar: Die Stärkung der reproduktiven Rechte und der Selbstbestimmung von Frauen. 

Source: Aktue