Expertentipps von Dr. Beate Paterok: Schlaf als Leistungsdruck: Ideen für eine erholsame Nacht

Aktuel

Früher sind die Menschen entspannter damit umgegangen, sagt Psychotherapeutin Dr. Beate Paterok. Und erklärt hier, wie es gelingt, die eigene Einstellung zur Nacht zu ändern.

Schicken Sie eine Frau, die mit Schlafproblemen zu Ihnen kommt, erst mal zum Arzt?

Dr Beate Paterok: Es gibt in der internationalen Klassifikation über 80 verschiedene Schlafstörungen, sodass die ärztliche Abklärung immer der erste Schritt ist. Die Schilddrüse kann eine Rolle spielen oder Eisenmangel, der die sogenannten unruhigen Beine mit sich bringen kann, oder auch typische Wechseljahrbeschwerden wie Schweißausbrüche und Hitzewallungen. Aber dieses einfache Modell – Ursache gefunden, Ursache behoben, Schlaf ist wieder gut – greift eben sehr oft nicht. Die Frauen, die zu mir in die Praxis kommen, haben bereits alles abklären lassen, nehmen vielleicht auch Hormone – und schlafen trotzdem nicht.

Bleibt der Schlaf-Killer Nummer eins, also der Stress?

Das Interessante ist, dass die Frauen in den Wechseljahren nicht selten sagen, dass die stressigste Phase ihres Lebens eigentlich hinter ihnen liegt, etwa weil die Kinder nicht mehr so klein sind und sie mehr Zeit für sich haben. Erst vergangene Woche erzählte mir eine Lehrerin, dass sie ihre Stunden im Job reduzieren konnte, das sehr genießt und jetzt mehr Zeit für Yoga und ihre Freundinnen hat. Die chronische Schlafstörung aber ist geblieben.

Wie steigen Sie dann bei einem solchen Fall in die Behandlung ein?

Zuerst fangen wir mit der Vorgeschichte an. In etwa 50 bis 70 Prozent der Fälle gibt es tatsächlich eine benennbare Ursache, also etwa eine belastende Lebenssituation oder den hormonellen Wechsel, in 50 Prozent aber auch nicht oder man kann sich nicht erinnern. Eine Schlafstörung chronifiziert relativ zügig und bleibt dann bestehen, selbst wenn auslösende Faktoren sich ändern. Denn wir alle entwickeln Ängste: Da stimmt was nicht mit mir. Ich muss unbedingt wieder einschlafen. Jetzt kann ich zusätzlich zu meinem Stress auch noch nicht schlafen. Wie wird der nächste Tag. Schaffe ich mein Pensum.

Nachts wach zu liegen, kommt wirklich aus der Hölle.

Die Nacht ist eine Einladung für Sorgen und Grübeleien. Man ist abgeschirmt vom Licht, von Geräuschen, von anderen Menschen und allein mit sich und seinen Gedanken in der Dunkelheit. Auch deshalb gibt es allgemein eine Fehlwahrnehmung, was unseren Schlaf angeht. Dazu kommt, dass unser Gehirn so gebaut ist, dass die Schlaf-Software als uralte biologische Anlage arbeitet und trotzdem höhere Zentren währenddessen denken “Ich schlafe nicht”. Wir alle unterschätzen unsere Schlaf- und überschätzen unsere Wachzeiten im Vergleich zu objektiven Daten aus dem Schlaflabor.

Wir verbringen also mehr Zeit schlafend, als uns bewusst ist.

Natürlich muss man das in den Gesprächen erarbeiten, sonst fühlen sich die Frauen nicht verstanden nach dem Motto: “Ich bilde mir das doch nicht ein.” Aber der Leidensdruck wird eben vornehmlich nicht durch den Schlafmangel ausgelöst, sondern durch unsere Bewertung. Schlaf unterliegt einem Leistungsdruck; oft mangelt es auch an Akzeptanz, dass sich manche Dinge im Laufe des Lebens verändern. Stattdessen nehmen wir an: “Mein Schlaf muss so bleiben wie früher, damit ich so funktionieren kann wie früher.” Noch vor 200 Jahren, als es gar nicht ausreichend Betten gab, sind Menschen deutlich flexibler mit dem Thema Schlaf umgegangen.

Und wie kommt man da raus?

Als Erstes mit Aufklärung, was nachts passiert und was davon normal ist. Es geht darum, die Grundannahmen zu korrigieren, die die Angst vor der Schlafstörung auslösen. Erst dann besprechen wir verhaltenstherapeutische Möglichkeiten.

Die Menschen müssen in Therapie?

Es geht um Verhaltenstherapie. Viele kommen mit der Vorstellung, dass mit ihnen in der Tiefe etwas nicht stimmt, zum Beispiel aus der Kindheit, und dass sie dies mithilfe der Gespräche in der Therapie herausfinden und so die Schlafstörung verschwindet. Das kann zwar manchmal der Fall sein, aber Studien zeigen, dass eine Psychotherapie, die an alten Ursachen oder der Kindheit arbeitet, die aktuelle Schlafstörung nicht verändert.

Stattdessen geht es darum, was man hier und jetzt dagegen tun kann.

Genau, ein ganz pragmatisches verhaltenstherapeutisches Vorgehen, ob man das nun Schlafhygiene oder Schlaftraining nennt. Das, was in der Presse oft zu lesen ist, nämlich dass es dabei um die richtige Matratze geht oder ein Zimmer, das unbedingt ganz dunkel und geräuscharm sein muss, ist allerdings keine Schlafhygiene im wissenschaftlichen Sinne.

Was gehört dann dazu?

Ein fester Schlafrhythmus und ein relativ knappes Schlaffenster. Wir sprechen lieber vom Fenster als von der Schlafzeit, auf die die Patientinnen immer fokussieren. Es kommt nicht nur auf die Länge, sondern auch auf die Qualität an. Wenn es darum geht, therapeutisch den Schlaf zu beeinflussen, beginnt man mit einem knappen Schlaffenster und erweitert es nach und nach. Bei einer diagnostizierten chronischen Insomnie natürlich idealerweise in Begleitung.

Wenn ich selbst etwas tun will, könnte ich also zum Beispiel regelmäßig um elf ins Bett gehen und um sechs aufstehen.

Das wäre schon mal eine gute Maßnahme, auch fürs Wochenende. Wobei die festen Aufstehzeiten der wichtigere Faktor ist. Der schlechtere Schlaf von Sonntag auf Montag ist nicht dadurch bedingt, dass man sorgenvoll an die Arbeitswoche denkt, sondern weil sich am Wochenende der Schlafrhythmus ändert. Viele denken ja, sie müssten dann unbedingt Schlaf nachholen und sich ausschlafen.

Was kann noch helfen?

Lichtexposition am Morgen ist sehr gut als Frischekick, aber auch, weil so später die Melatoninproduktion für die Nacht wieder angekurbelt wird. Dann Bewegung, weil Stresshormone abgebaut werden, und Entspannungsübungen, je nachdem, welche Methode einem gefällt, um tagsüber das Stresslevel zu senken. Man muss sich nicht ab 20 Uhr entspannen, um nachts gut schlafen zu können. Aber wenn man eine halbe Stunde vor der Bettzeit zum Beispiel Tätigkeiten immer in der gleichen Reihenfolge ausführt, nutzt man die Kraft der Konditionierung.

Wie schnell wird der Schlaf durch solche Maßnahmen wieder besser?

Innerhalb einer Psychotherapie sehen wir bei manchen schon nach drei Wochen sehr starke Effekte, aber sechs bis zwölf Wochen sollte man sich schon Zeit geben. Regelmäßigkeit ist wichtig.

Insgesamt tut offensichtlich alles, was langweilig ist, dem Schlaf gut.

Ja, aber entscheidend bleibt die Ursachenzuschreibung. Ich stelle meinen Patientinnen oft die Frage, ob sie sich an Zeiten erinnern, in denen sie aus positiven Gründen wenig geschlafen haben. Als man frisch verliebt oder in einem spannenden Land unterwegs war, hat man auch sehr wenig geschlafen und sich trotzdem energiegeladen gefühlt. Belastend ist, dass sie sich jetzt auf die negativen Auswirkungen der Schlafstörung konzentrieren. Diese Erkenntnis kann sehr entlastend wirken.

Dr. Beate Paterok hat mit ihrem Mann Tilmann Müller eine Psychotherapie-Praxis in Münster. Von beiden stammt der Ratgeber “Schlaf erfolgreich trainieren” (Hogrefe). Das Gespräch in voller Länge hören Sie in der Folge “Auch wach? Besser schlafen in der Lebensmitte” des BRIGITTE-Podcasts “Meno an mich”.

Heftbox Brigitte Standard
 

Source: Aktue