Psychologie: Bist du wirklich empathisch – oder hypervigilant?

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Empathie ist eine wichtige Eigenschaft, die uns das menschliche Miteinander erleichtern kann. Aber häufig verwechseln wir eine andere Verhaltensweise damit: Hypervigilanz.

Plötzlich verhärten sich die Mundwinkel meines Gegenübers. Hab’ ich etwas Falsches gemacht oder gesagt? Ist die Person wütend auf mich? Wie soll ich mich jetzt am besten verhalten?

Kennst du solche Gedankengänge? Vielleicht bringst du sie mit Empathie in Verbindung. Empathisch zu sein, kann bedeuten, dass wir die Gefühle anderer gut nachvollziehen können, uns leicht in sie und ihre Gedanken hineinversetzen können und dass wir andere eben auch gut “lesen” können, also schnell fühlen und sehen können, wie ihre Stimmung ist.

Manchmal halten wir uns selbst für empathisch, obwohl ein anderes Wort unser Verhalten besser beschreiben würde – wie im Beispiel oben –, nämlich Hypervigilanz, was so viel heißt wie erhöhte Wachsamkeit. Wenn wir hypervigilant sind, können wir die Gefühle anderer auch gut lesen und nachvollziehen – wir sind aber extrem auf kleinste Veränderungen in ihrer Mimik, in ihrem Tonfall, in ihrem Verhalten fokussiert.

Hypervigilanz: Schutzmechanismus unseres Gehirns

Hypervigilanz liegt häufig in traumatischen Erfahrungen begründet. Wir haben, wahrscheinlich als Kinder, schmerzlich gelernt, dass es ratsam ist, immer auf der Hut zu sein und genau zu beobachten, ob sich in der Stimmung unserer Mitmenschen etwas ändert. Und dieser Bewältigungsmechanismus ist tief in uns verankert, sodass wir auch heute noch extrem wachsam und aufmerksam sind, vor allem in zwischenmenschlichen Situationen. So versucht unser Gehirn, uns mit der übersteigerten Wachsamkeit zu schützen.

Wenn du dich also für einen empathischen Menschen hältst, lohnt es sich vielleicht, zu überprüfen, ob nicht eher Hypervigilanz dahintersteckt.

3 Anzeichen, dass du nicht empathisch bist, sondern hypervigilant

1. Du bist in jeder Interaktion nur auf dein Gegenüber fixiert

Sich mit dem eigenen Umfeld auseinanderzusetzen und etwa in sozialen Situationen im Blick zu haben, wie andere Menschen sich gerade fühlen, kann ein Zeichen für eine gesunde Empathie sein. Es kann aber auch in die für Hypervigilanz typische extreme Wachsamkeit umschlagen. Wenn wir im Gespräch so stark darauf fixiert sind, ob sich in der Körpersprache unseres Gegenübers kleinste Veränderungen zeigen, können wir uns womöglich gar nicht mehr auf das konzentrieren, worüber wir gerade sprechen.

Wenn du dich regelmäßig bei ängstlichen Gedanken ertappst, ob dein Gegenüber vielleicht wütend auf dich ist und/oder anderweitig unzufrieden, kann das ein Zeichen dafür sein, dass deine gesunde Empathie eigentlich Hypervigilanz ist.

2. Du fühlst dich verantwortlich für die Gefühle anderer

Ein weiterer Unterschied zwischen Empathie und Hypervigilanz besteht darin, ob du dich für die Emotionen deines Gegenübers verantwortlich fühlst. Wahrzunehmen, wie es jemand anderem geht und möglicherweise zu schauen, ob du etwas für diese Person tun kannst, kann gesund und empathisch sein. Wenn es aber so weit geht, dass du dich für jede Gefühlsschwankung deines Partners, deiner Freundin oder deiner Chefin verantwortlich fühlst, bist du vermutlich hypervigilant. Das ständige Kreisen um die Gedanken und Gefühle anderer – und möglicher Konsequenzen daraus für dich – ist ein deutliches Warnsignal dafür.

3. Du bist extrem reizempfindlich

Hypervigilanz kann sich aber auch in ganz anderen Situationen zeigen. Bist du sehr schreckhaft? Fühlst du dich von großen Menschenmengen, lauten Geräuschen und grellen Lichteffekten schnell gestresst und überfordert? Eine starke Empfindlichkeit bei Reizüberflutung kann ebenfalls darauf hindeuten, dass du hypervigilant bist. Denn unser Nervensystem kann dabei nicht zwischen realen Gefahren und etwa einem lauten Feuerwerk unterscheiden. Deshalb überträgt sich die überzogene Wachsamkeit, die meist in zwischenmenschlichen Situationen ihren Ursprung hat, häufig auch auf andere Sinne.

Was kannst du tun, wenn du hypervigilant bist?

Zu erkennen, dass etwas in unserem Verhalten nicht gesund ist und womöglich Symptom einer Erkrankung sein könnte, ist ein erster wichtiger Schritt. Hypervigilanz kann (muss aber nicht) ein Anzeichen für eine Angststörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung sein. Sprich am besten mit einer Ärztin oder einem Therapeuten darüber. So könnt ihr gemeinsam eine Strategie entwickeln, mit der du deinem Verhalten auf den Grund gehen und so mögliche Themen für dich auflösen kannst.

Kurzfristig kann es aber helfen, bewusst dein Nervensystem zu beruhigen, etwa mit Meditation oder Yoga. Auch deine Bildschirmzeit zu reduzieren – besonders abends –, und etwa auf Alkohol oder Koffein zu verzichten, wenn dich diese Substanzen (noch) nervöser machen, kann dich dabei unterstützen, etwas mehr zur Ruhe zu kommen.

Verwendete Quellen: healthline.com, health.com, spektrum.de, instagram.com/mymonk

Source: Aktue