Psychologie: Du glaubst, es fehlt dir an Willenskraft? Warum das (vermutlich) nicht stimmt

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Gelingt uns etwas nicht direkt, schieben wir es häufig auf mangelnde Disziplin. Warum die aber gar nicht viel ausrichten kann, wenn das Gehirn mit anderen Dingen beschäftigt ist – und wie du deine Willenskraft wirklich stärken kannst.

In Zeiten, in denen Selbstoptimierung zu den größten Trends gehört, ist die Willenskraft eines unserer wichtigsten Tools. Jeden Morgen um 5 Uhr aufstehen und Sport machen, nur noch “gesund” essen und überhaupt nur noch Dinge tun, die uns optimieren: Damit wir uns ständig verbessern können, brauchen wir Disziplin.

Erreichen wir unser gesetztes Ziel mal nicht, verschlafen wir also oder sind einfach zu müde für unser Workout, sind wir oft sehr hart zu uns selbst. Wir werfen uns vor, einfach nicht genug Willenskraft zu haben. Denn ansonsten würde uns das ja wohl nicht so schwerfallen! Oder?

Darum kannst du deine Willenskraft nicht immer beeinflussen

Dr. Faye Begeti ist Neurologin und teilt auf ihrem Instagram-Kanal “the_brain_doctor” Einblicke und Erkenntnisse aus ihrem Berufsalltag. Die Gehirnexpertin hat etwa in einem Beitrag erklärt, warum es häufig nicht an mangelnder Willenskraft liegt, wenn wir etwas nicht schaffen – zumindest nicht nur.

Disziplin gehört zu den sogenannten exekutiven Funktionen und entsteht vorwiegend in den präfrontalen Gehirnstrukturen, unter anderem im präfrontalen Cortex. Dieser Teil unseres Gehirns hat noch weitere Aufgaben, etwa verarbeitet er Gefühle aus dem emotionalen Teil des Hirns und entscheidet, ob wir auf sie reagieren sollten. Diesen Vorgang nennen wir emotionale Regulierung.

Stress ist Gift für das Gehirn – und “blockiert” unsere Disziplin

Das kann dazu führen, dass großer Stress unsere Willenskraft schmälert. Denn unser Gehirn ist damit beschäftigt, schwierige Emotionen wie Angst, Scham oder Wut zu verarbeiten – und hat daher keinen Raum mehr für die Disziplin. Wenn wir also einen anstrengenden Tag auf der Arbeit hatten oder uns allein um kleine Kinder gekümmert haben, sind wir in der Regel ziemlich erschöpft. Denn in letzterem Fall mussten wir nicht nur für unsere eigene emotionale Regulierung Energie aufwenden, sondern auch für die der Kleinen – die können das nämlich noch nicht selbst.

Haben wir die maximale Kapazität des exekutiven Parts unseres Gehirns erreicht, springt unser Hirn in den Autopilot. In diesem Notfallmodus sucht unser Hirn kurzfristige Befriedigung statt des Erreichens langfristiger Ziele. Sprich: Es drängt uns eher dazu, uns mit einer Tafel Schokolade vor den Fernseher zu setzen, anstatt zum Sport zu gehen.

Es ist natürlich nicht unmöglich, auch in diesem Zustand noch genug Disziplin aufzubringen, uns für die Option zu entscheiden, die uns langfristig guttut – und wenn du zu den Menschen gehörst, die das schaffen, kannst du wirklich stolz auf dich sein. Aber die meisten von uns geben eher der Bequemlichkeit nach und suchen sich Tätigkeiten oder Lebensmittel, die uns kurzfristig ein gutes Gefühl vermitteln.

So stärken wir wirklich unsere Willenskraft

Dieses Problem lösen wir nicht, indem wir noch härter zu uns sind und uns fertigmachen, weil wir ein Ziel nicht erreicht haben. Denn das stresst uns nur weiter, unser Gehirn springt schnell wieder in den Autopilot, weil die Regulierung unserer Emotionen zu viel Raum einnimmt. Und das Ganze geht von vorne los.

Wie können wir diesen Teufelskreis durchbrechen? Indem wir gut zu uns sind und auf unsere Bedürfnisse hören. Du bist erschöpft von einem stressigen Arbeitstag? Höre ehrlich in dich hinein und schaue, ob nicht vielleicht ein wenig Yoga jetzt die bessere Alternative zu einem schweißtreibenden HIIT-Workout ist. So tust du aktiv etwas gegen deine Erschöpfung und hast morgen vielleicht wieder genug Energie für ein dynamischeres Training.

Also: Die Willenskraft fehlt dir nicht, weil du schwach bist – sondern weil du dir vermutlich zu viel zugemutet hast und dein Gehirn so nicht genug Kapazitäten hat, um dich zu motivieren. Die Lösung ist daher nicht weiterer Druck, sondern Stressabbau.

Verwendete Quellen: instagram.com/the_brain_doctor, lanocepsychiatry.com

Source: Aktue