Psychologie: Das bedeutet es wirklich, wenn du wenig Freunde hast

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Einige Menschen haben einen großen Freundeskreis und praktisch täglich Verabredungen. Andere haben nur einige wenige ausgewählte Personen in ihrem Leben, die sie nah an sich heranlassen. Aber ist es schlimm, nur wenige Freund:innen zu haben?

In meinen Zwanzigern war ich fast jeden Abend mit einer Freundin oder einem Freund verabredet, und auch das Wochenende war immer komplett durchgeplant mit Friend Dates. Heute, mit Ende 30, hat sich mein Kreis deutlich verkleinert. Ich habe immer noch einige enge Freund:innen, die ich schon lange kenne, andere sind über die Jahre dazugekommen – aber viele sind irgendwo auf dem Weg verloren gegangen. Man hat sich auseinandergelebt oder hatte vielleicht eine eher oberflächliche Verbindung, die einigen Veränderungen im Leben nicht standgehalten hat.

So weit, so normal. Trotzdem hadere ich oft damit, dass Freundschaften sich verändern, man sich nicht mehr so nahesteht, wie es früher mal war, dass man vielleicht sogar eher zu guten Bekannten geworden ist, anstatt sich noch als enge Freundinnen bezeichnen zu können. Ich bin dankbar für die Menschen, mit denen ich eine tiefe Verbindung habe, mit denen ich ungefiltert über all das sprechen kann, was mich gerade beschäftigt. Aber ich frage mich dennoch manchmal: Habe ich zu wenig (gute) Freund:innen?

Wie viele Freunde brauchen wir?

Eine Studie aus dem Jahr 2012 legt nahe, dass es Menschen, die im mittleren Alter regelmäßig mit zehn oder mehr Personen in Kontakt stehen, psychologisch besser geht. Die Frage ist: Zählen dazu auch Kolleg:innen, mit denen man gemeinsam Mittag isst, Eltern oder Geschwister, mit denen man viel spricht? Denn das würde womöglich den Druck minimieren, die vollen zehn “Plätze” mit engen Freund:innen füllen zu müssen, denen wir Raum im ohnehin schon vollen Terminkalender schenken müssen und Energie, die wir eigentlich nicht haben.

Denn ja, wir sind soziale Wesen und brauchen andere Menschen in unserem Leben. Aber wenn der Druck, den eigenen sozialen Kreis ständig erweitern zu müssen, nur ein weiterer Stressor wird, macht das die psychologischen Benefits, die Freundschaften haben, sicher ganz schnell wieder zunichte.

Eine Studie aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Schluss, dass drei bis fünf enge Freundschaften optimal sind, damit unsere sozialen Bedürfnisse erfüllt sind. Vielleicht passt diese Zahl sogar zu den zehn Kontakten aus der anderen Forschungsarbeit, wenn wir Familie und losere Bekannte wie Kolleg:innen dazuzählen, die ja durchaus auch eine Bereicherung für uns sein können.

Freundschaften sollen uns bereichern und keinen Druck ausüben

Wie viele Freundschaften einer Person nun guttun, wie viele soziale Kontakte genug sind und wie viele womöglich sogar zu viel, lässt sich sicher nicht anhand einer wissenschaftlichen Studie für alle Menschen gleichermaßen festlegen. Denn wie intro- oder extrovertiert wir sind, ist sehr individuell – und kann sich auch im Laufe des Lebens verändern. Während ich in meinen Zwanzigern ständig unterwegs war und permanent Freund:innen um mich herum hatte, brauche ich heute viel mehr Zeit für mich. Ich genieße es natürlich trotzdem, Zeit mit Menschen zu verbringen, die mich verstehen und die mir guttun.

Aber erstens ist diese Zeit deutlich kürzer als früher, und zweitens merke ich, dass einige Menschen mich deutlich mehr Kraft kosten als andere – beziehungsweise dass einige Freund:innen meine Batterien aktiv aufladen, während andere sie ganz schnell in den roten Akkubereich unter 20 Prozent bringen. Es ist nicht immer leicht, sich einzugestehen, dass einige Menschen uns vielleicht nicht (mehr) guttun. Vor allem dann nicht, wenn wir den gesellschaftlichen Druck spüren, dass wir nur dann etwas wert sind, wenn wir einen großen Freundeskreis haben.

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Qualität vor Quantität – auch in Freundschaften

Das bringt mich zum zweiten Punkt neben der individuellen Veranlagung, wie viele soziale Kontakte sich für uns gut anfühlen: Qualität vor Quantität. Ja, wir brauchen andere Menschen und Verbindungen, die uns ein Gefühl des Sinns vermitteln, uns neue Perspektiven auf das Leben ermöglichen und bei denen wir ganz wir selbst sein können. Aber mit wie vielen Personen kann man gleichzeitig eine solche Connection haben? Anstatt sinnlos oberflächliche Bekanntschaften zu sammeln, sollten wir also lieber genau solche bedeutsamen Freundschaften bewusst pflegen und hegen.

Meine abschließende Antwort auf die Eingangsfrage, ob ich zu wenig Freund:innen habe, lautet deshalb: Nein. Denn ich habe das große Glück, Menschen in meinem Leben zu haben, mit denen ich wirklich tiefe Verbindungen habe, die dem Auf und Ab des Lebens standhalten. Und das ist viel wichtiger als die Frage, wie viele Menschen ich zu einer Geburtstagsparty einladen würde oder mit wie vielen Telefonnummern ich jeden Tag WhatsApp-Nachrichten austausche.

Source: Aktue