Psychologie: Diese 8 Gewohnheiten helfen dir, präsenter zu sein

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Besteht in unserem Leben dauerhaft ein Mangel an Präsenzerfahrung, kann uns das laut Psycholog:innen krank machen. Doch was können wir tun, um dem vorzubeugen oder entgegenzuwirken? Wir haben ein paar Ideen.

In unserer Gesellschaftskultur besteht tendenziell eine Neigung, sehr scharf zwischen Körper und Geist zu trennen und das Geistige als das Edlere von beidem anzusehen. Schließlich haben auch Steine, Ohrenkneifer und Quallen Körper, doch der Geist ist, so die Meinung einiger Leute, etwas exklusiv Menschliches und zeichnet uns ganz besonders aus. Das führt dazu, dass manche Menschen ihren Körper vernachlässigen oder als bloßes Werkzeug betrachten, über das sie mit ihrem Geist verfügen können. Tatsächlich sind wir jedoch eine geschlossene Einheit. Eine sehr komplexe, doch eine ebenso einzige und zusammenhängende wie die Einheit Stein oder Ohrenkneifer. Unser Körper ist die Quelle unserer Gedanken und wenn unser Herz nicht schlägt, können wir weder eine Gleichung lösen noch nach einem Warum fragen. 

Nun spricht nichts dagegen, diese geistigen Fähigkeiten wie Planen, Berechnen, Auswerten, Interpretieren, Zusammenhänge annehmen zu nutzen und in unseren Alltag zu integrieren. Doch wie es scheint, brauchen wir als körperliche Einheit zum Ausgleich immer wieder Momente, in denen sich unsere körperliche wie geistige Energie und Aufmerksamkeit sammeln. In denen wir nicht übers Morgen nachdenken, nicht überlegen, was im Jetzt anders sein könnte, und uns nicht darüber ärgern, was wir im Gestern versäumt haben. 

In seinem Buch “Diesseits der Hermeneutik” hat der Philosoph Hans-Ulrich Gumbrecht für solche Art von Momenten den Begriff “Präsenz” eingeführt, der mittlerweile auch in der Psychologie ein wichtiges Schlagwort geworden ist. So bietet etwa der Psychologe Doktor Karsten Wolf an der Libermenta Klinik Schloss Gracht eine Therapieform an, die sich Präsenztherapie nennt und die bei psychischen Störungen wie Depression oder Angststörung helfen oder derartigen Störungen vorbeugen kann. Denn, so die Annahme, wenn wir zu wenig Präsenzmomente in unserem Alltag erleben, kann uns das krank machen (mehr dazu erfährst du in unserem Artikel Anzeichen für einen Präsenzmangel).

Damit es dazu im besten Fall nicht kommt oder wir die Kurve bekommen, wenn wir vielleicht doch schon in einen Präsenzmangel rutschen, können wir zum Beispiel einige der folgenden Maßnahmen oder Rituale in unseren Alltag zu integrieren versuchen. 

8 Rituale, die dir zu mehr Präsenzerleben verhelfen können

1. Menschen treffen

“Bindung ist der stärkste Trigger von Präsenzerleben”, sagt Karsten Wolf. Ein regelmäßiger, direkter Kontakt mit anderen Menschen ist deshalb die Grundlage, um Präsenz in unseren Alltag zu integrieren. Wie viel Zeit wir mit Freund:innen oder Familie verbringen können und wie viel wir für uns brauchen, ist dabei abhängig von unserer Persönlichkeit, insbesondere vom Grad unserer Extraversion. Der einen reicht ein Abend die Woche in Gesellschaft, der andere braucht mindestens drei, die Dritte startet mit einer Verabredung jedes zweite Wochenende. Gerade wenn wir bereits einen einsamkeitsbedingten Präsenzmangel in unserem Leben vermuten, braucht es manchmal eine gewisse Zeit, zu einer sozialen Routine zu finden, die gut für uns funktioniert. Haben wir sie jedoch einmal gefunden, kann sie uns sehr viel Halt und Lebensqualität geben.

2. Sport (am besten mit Freund:innen)

Sport ist generell eine gute Möglichkeit, um unseren Körper zu spüren und uns eins mit uns zu fühlen. Allerdings sei Sport nicht gleich Sport, mahnt der Psychologe. “Wenn sich die Managerin nach zehn Stunden Arbeit noch zu einer Joggingrunde zwingt, um ihr Aktivitätsziel zu erreichen und im Kopf die nächsten E-Mails zu formulieren, schafft sie sich zusätzlichen Stress, schaltet aber geistig nicht ab”, sagt er. Um den eigenen Gedankenlauf eine Pause zu verschaffen, eigne sich Karsten Wolf zufolge am besten Sport in Gesellschaft. Zu zweit joggen gehen, zu zweit Radfahren, Fußball spielen, Teamsport, Sportkurse besuchen, tanzen. 

3. Konzertbesuche/ Feiern

Feiernde, tanzende Menschen um uns herum, Musik, die wir nicht nur hören, sondern auch in unserem ganzen Körper spüren – sich direkt aus einer länger anhaltenden Isolation auf ein Rockkonzert zu wagen, ist für einige sicher nicht das Richtige und wird eher Überforderung oder gar Panik auslösen. Prinzipiell können uns Konzerte oder Partys aber intensive Präsenzerlebnisse verschaffen.

4. Sportveranstaltungen

Anfeuern, mitfiebern, sich gemeinsam mit anderen Zuschauer:innen freuen oder ärgern, zur La-Ola-Welle aufstehen und die Arme in die Luft reißen – ein Sportevent live oder in Gesellschaft zu verfolgen, kann ebenfalls ein sehr starkes Präsenzerlebnis für uns sein. Doch auch hier gilt: Wer unsicher ist und Angst vor Menschenmengen hat, kauft lieber vorerst keine Karten.

5. Einen Hund streicheln

Wer sich eher schwer mit menschlicher Gesellschaft tut, kann vielleicht über die Beziehung zu einem Tier Präsenzmomente erleben. Ob es ein Hund ist oder eine Katze, ein Pferd oder ein Meerschweinchen, eine Schildkröte oder ein Wellensittich, spielt dabei eine untergeordnete Rolle, entscheidend ist die Bindung zu diesem Tier und eine Nähe zu ihm. Da die Anschaffung eines Haustieres jedoch wohl überlegt sein will und mit Verantwortung verbunden ist, kann es sinnvoll sein, testweise im Tierheim auszuhelfen oder den Hund einer:s Nachbar:in zu betreuen. 

6. Sauna

Wärme zu spüren, ob durch Sonne, Sauna oder ein heißes Bad, hat auf viele Menschen einen beruhigenden Effekt und hilft ihnen dabei abzuschalten und sich zu sammeln. Bei einigen rasen die Gedanken auch in der Sauna weiter, dann ist es für sie eben nicht das Richtige. Doch einen Versuch ist es vielleicht wert.

7. Töpfern, Garten- oder Handarbeit

Etwas mit den Händen zu formen oder zu erschaffen, kann uns das Gestern und Morgen vergessen und völlig in unserer Tätigkeit versinken lassen. Viele Menschen werden auf diesem Wege wahrscheinlich nicht das intensivste Präsenzerlebnis erfahren, doch es kann zumindest ein gewisses Gegengewicht zu übermäßig geistiger Tätigkeit darstellen.

8. Körperliche Berührung

Die Sehnsucht nach Berührung ist in der Regel eines der ersten Signale, durch die wir einen Präsenzmangel wahrnehmen können. Insofern ist regelmäßiger Körperkontakt eine der grundlegenden Maßnahmen, um einem solchen Mangel entgegenzuwirken. Dabei müsse es sich nicht zwangsläufig um sexuellen Kontakt handeln, sagt Karsten Wolf. Über den Rücken gestreichelt zu werden, eine Umarmung oder eine Hand zu halten, kann bereits eine positive Wirkung haben.

Wer mehr über das Thema Präsenz wissen möchte:

  • “Präsenztherapie. Neue Psychotherapeutische Implikationen im Wandel des abendländischen Denkens” von Karsten Wolf, Fengli Lan, Friedrich G. Wallner
  • “Diesseits der Hermeneutik. Über die Produktion von Präsenz.” von Hans Ulrich Gumbrecht
  • libermanta.com für Infomaterial zur Präsenztherapie in der Libermanta Klinik Schloss Gracht

Source: Aktue